Fahrrad und Frieden

veröffentlicht am 13.11.2023

Caritas International sorgt für Energie und Hoffnung in Armenien – Ein Reisebericht unseres Kollegen Wolfgang Offermann

Die besondere Stimmung, wenn man mit den Menschen in Armenien spricht, schwingt irgendwo zwischen Melancholie und Hoffnung. Die Geschichte des Landes – auch die jüngere – ist voller tragische Ereignisse, die die Bevölkerung traumatisieren und sich tief ins kollektive Gedächtnis eingegraben haben. Der von der Türkei bis heute bestrittene – und von Deutschland erst hundert Jahre später anerkannte – Genozid an armenischen Christen des Osmanischen Reichs hatte 1915 den Tod von anderthalb Millionen Menschen zur Folge. Dieses – international damals weitgehend ignorierte – grausame Massaker hatte auch Vertreibung zur Folge, mit ein Grund, warum heute nur knapp drei der zwölf Millionen Armenier in Armenien leben.

Das schwere Erdbeben am 7. Dezember 1989, der in diesem eisigen Winter 25.000 Menschen das Leben kostete und die meisten Gebäude wie Kartenhäuser zusammenstürzen ließ, insbesondere in der zweitgrößten Stadt Gjumri. Dies wirkt ebenfalls bis zum heutigen Tage auf das strukturschwache Land. Wie 9/11 unumgänglich für den Terroranschlag in New York steht, so tritt die Zahl 7121989 in Armenien häufig auf – zum Beispiel als Passwort.

Aber auch die Gegenwart lässt die Menschen dieses durch uralte christliche Kultur geprägten Kaukasus-Staates nicht zur Ruhe kommen. Im Schatten des Ukraine-Kriegs flammte im September 2022 der Konflikt mit Aserbaidschan wieder auf. Die Grenzen zu dem Land sind geschlossen – dies gilt auch im Westen zum Nachbarstaat Türkei. Die ehemalige Schutzmacht Russland ist ebenso kein zuverlässiger Partner. Die Regierung sieht sich im Spannungsfeld einer Abhängigkeit zu Russland und einer Bevölkerung, die überwiegend westlich ausgerichtet ist. Dies alles wirkt auf die Menschen, die sich fast trotzig den Herausforderungen stellen, die mit sozialen Problemlagen in unserer Aachener Region nicht vergleichbar ist.

Caritas International ist seit vielen Jahren in Armenien aktiv – auch jetzt aktuell um die Vertriebenen zu versorgen, die aus den Kampfgebieten geflüchtet sind. Eine Herausforderung, die das in der Infrastruktur geschwächte Land zusätzlich belastet, denn in vielen Regionen geht es um existentielle Armut. Eine weitere Problemlage zeigt sich im Norden Armeniens: Dort haben zum Beispiel die Menschen kaum Möglichkeiten zu heizen. Sie behelfen sich mit der Verbrennung von Kuhdung, der aufwendig getrocknet und zu Briketts abgestochen wird. Die Gegend ist karg und steinig. Es gibt außer der Landwirtschaft keine Arbeit. Viele jüngere verlassen die Dörfer und gehen zum Arbeiten ins Ausland.

Auch Kerob Gegnorgian sieht seine vier Kinder wenig, da er meist als LKW-Fahrer unterwegs ist. Seine Frau Shushan kümmert sich alleine um den Nachwuchs im Alter von 14 bis 3 Jahre. „Zum Brot backen oder zum Wasser kochen nutzten wir den Holzofen. Es gibt kein Feuerholz zum Sammeln, es zu kaufen, können wir uns nicht leisten, selbst der Kuhdung kostet für einen Winter 750 Euro. Der Rauch in den kleinen“ Räumen machte zudem krank“, erzählt die Mutter, die im Alltag viel improvisieren muss. Sie freut sich, dass ihre Familie jetzt von dem Hilfeprogramm profitiert, mit dem die Caritas Armenien die Menschen im ländlichen Raum unterstützt. Hierbei setzt sie eine nachhaltige und klimafreundliche Ressource ein, die es im sonst kargen Land im Überfluss gibt: Sonnenlicht. Mit internationaler Unterstützung initiierte der Wohlfahrtsverband die Installation von Solarthermieanlagen auf den Dächern von 340 Familien. Zusätzlich schulte die Caritas die Familien darin, effektiver mit Energie umzugehen und die Häuser gut abzudichten. Auch Familie Gegnorgian profitiert von dieser neuen Anlage. „Jetzt drehen wir einfach den Hahn auf und es kommt warmes Wasser“, freut sich Shushan. „Früher waren die Kleinen im in Gefahr, sich an dem heißen Wasserkessel auf dem Ofen zu verletzen, nun haben wir einen 360-Liter Tank, den nur die Sonne erhitzt. Das macht das Leben leichter“.

Neben der deutlichen Einsparung im Haushaltsbudget der Familie entsteht auch weniger Kohlendioxid, ein Gewinn für die Atemwege und für das Klima. Durch die neue Technik wurden auch zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen, da einige Bewohner der Region jetzt eine entsprechende Ausbildung erhalten, um die Anlagen zu installieren und zu pflegen. Auf die Frage, was die Mutter sich wünschen würde, wenn eine Zauberfee ihr einen freien Wunsch schenken würde, ruft der achtjährige Sayat sofort dazwischen: „Ein Fahrrad“. Die Mutter lächelt und sagt dann leise: „Frieden.“

Wer die Arbeit von Caritas Armenien unterstützen möchte, kann dies mit einer Spende über Caritas International tun:
Spendenkonto: Deutscher Caritasverband, Bank für Sozialwirtschaft
IBAN: DE88 6602 0500 0202 0202 02, Kennwort: „Aachen hilft Armenien“

Wolfgang Offermann

Ansprechpartner

Wolfgang Offermann

Stabsstelle Öffentlichkeit & Kommunikation

Telefon: 0241-4778317

E-Mail: w.offermann@caritas-aachen.de