Interview: Unsere Kollegin von Brückenschlag im Interview mit NetAachen
veröffentlicht am 19.10.2020
Wir freuen uns, dass unsere Kollegin Anna Lenzen von Hannah Lynn Hoffmann von NetAachen für das Webmagazin Na?! interviewt wurde. Lesen Sie hier das ganze Interview:
„Nur wenige Schicksalsschläge verändern das Leben von Familien so schlagartig und nachhaltig wie die Diagnose „Krebs“. Das betrifft nicht nur die Erkrankten selbst, sondern ganz besonders auch die Kinder, die in der Familie leben. Das Projekt „Brückenschlag“, eine Kooperation der CARITAS Aachen und des Centrums für integrierte Onkologie (CIO Aachen) der Uniklinik Aachen, nimmt sich ebendieser Familien an und begleitet sie auf ihrem Weg mit der Krankheit – und im besten Fall durch die Krankheit hindurch. NetAachen unterstützt die CARITAS Aachen als Sponsor bereits seit vielen Jahren.
Wir haben Anna Lenzen, Sozialarbeiterin bei „Brückenschlag“, zum Interview gebeten. Herausgekommen ist ein spannendes Gespräch über Grauzonen, offene Kommunikation und darüber, dass es manchmal hilfreich ist, „Scheiße!“ zu sagen.
Na.de: Hallo Anna! Wie kamst du zu deinem Job bei der CARITAS?
Anna: Das hat sich wie bei vielen anderen meiner KollegInnen einfach ergeben. Ursprünglich habe ich eine Ausbildung zur Krankenschwester gemacht und in der häuslichen Pflege gearbeitet. Ich habe diese Arbeit sehr gerne gemacht – und doch fehlte mir der ganzheitliche Zugang. Ich wollte Menschen nicht nur bei der Bewältigung ihres Alltags, sondern auch auf anderen Ebenen begleiten, ganz nach dem systemischen Ansatz. Aber mir fehlte das methodische Handwerkszeug. Also habe ich an der TH Köln Soziale Arbeit studiert und kurz darauf das Netzwerk „Brückenschlag“ der CARITAS in Aachen kennen gelernt. Da war ich sofort Feuer und Flamme. Und seit 2018 arbeite ich nun in diesem Projekt – und liebe es.
Grenzen überschreiten – mit methodischer Expertise
Na.de: War diese berufliche Umorientierung also auch für dich eine Art „Brückenschlag“?
Anna: Das war es tatsächlich. Als Krankenschwester habe ich immer die Vielzahl an Prozessen beobachtet, die bei einer Krankheit oder einer körperlichen Beeinträchtigung ablaufen – das soziale Umfeld, Freunde, Familie. Wenn du anderen Menschen nachhaltig helfen möchtest, dann machst du in diesem Beruf immer mehr, als eigentlich von dir verlangt wird. Du überschreitest irgendwo immer die Grenzen. Mir war schnell klar, dass ich die Grenzen auch tatsächlich überschreiten möchte – aber eben mit methodischer Expertise. Heute arbeite ich in genau den „Grauzonen“, die in der normalen Betreuung von schwer erkrankten Menschen leider oft vernachlässigt werden. Gerade bei einer elterlichen Krebserkrankung sind es – wie so oft – die Kinder, die zu kurz kommen.
Na.de: Wie arbeitet ihr denn bei „Brückenschlag“? Was für eine Art von Unterstützung bietet ihr an?
Anna: Das Projekt hat sich damals über eine Kooperation zwischen Caritas und der Uniklinik gegründet. Schnell entstand ein stabiles Netzwerk aus wichtigen Akteuren der Gesundheits – und Jugendhilfe. Hier konnten die Scouts eingesetzt werden. Deren Aufgabe ist es hauptsächlich, überhaupt erstmal Kontakt mit den Menschen herzustellen, die Hilfe brauchen. Das ist gar nicht so einfach – schließlich sind das genau die Menschen, die normalerweise aus dem Radar fallen, wenn jemand an Krebs erkrankt. Wenn diese Menschen dann unsere Unterstützung in Anspruch nehmen, geht die Reise erstmal los. Oft müssen wir ganz am Anfang beginnen und begleiten die Erkrankten dabei, ihre Diagnose erst einmal für sich selbst anzunehmen und dann im nächsten Schritt im engsten Familien- oder Freundeskreis zu kommunizieren.
„Diese Arbeit ist kein Spaziergang!“
Na.de: Das klingt nach ziemlich hartem Tobak!
Anna: Diese Arbeit ist tatsächlich kein Spaziergang. Aber: Für uns ist ganz wichtig, dass wir mit der Erkrankung arbeiten und nicht gegen die Erkrankung. Wir arbeiten mit der Diagnose und finden gemeinsam mit unseren KlientInnen heraus, was sie tun können, um für sich, ihre Angehörigen und speziell ihre Kinder einen guten individuellen Weg durch die Krankheit hindurch – ganz egal, was dabei am Ende herauskommt – selbstbestimmt zu gestalten. Da geht es ganz viel um Kommunikation und darum, Räume zu öffnen, in denen die Dinge eben so sein dürfen, wie sie sind. Im Diagnose- und Behandlungssystem erleben unsere KlientInnen meistens maximale Hilflosigkeit und das Gefühl, die Kontrolle zu verlieren. Unser Ziel ist, dass die Betroffenen ihre Handlungsfähigkeit zurückerlangen und ihre Stimme wiederfinden. Manche benennen bei unserem Erstgespräch ihre Diagnose überhaupt zum allerersten Mal. Und Manche erleben es als unheimlich befreiend, wenn sie einfach mal laut aussprechen dürfen, wie „Scheiße“ alles ist.
Na.de: Würdest du sagen, es gibt noch große Baustellen, wenn es um die Betreuung von krebskranken Menschen geht?
Anna: Jein. Ich erlebe, dass die Gesellschaft sich gegenüber schweren Krankheiten in den letzten Jahren sehr geöffnet hat. Was noch ein wenig fehlt, ist die allgemeine Akzeptanz für die Belastungssituation, die dahinter steht. Sowohl für den Betroffenen, als auch für die Angehörigen. Die medizinische Maschinerie, die an der körperlichen Erkrankung arbeitet, steht immer dem Seelischen, dem familiären Aspekt gegenüber. Da zerbrechen ja erst einmal Träume, Ideen und Lebensentwürfe. Die Ausgestaltung der Behandlung ist auf dieser Ebene vom Gesundheitssystem erst einmal nicht vorgegeben. Es ist auf der Seite der Pflege z. B. nicht vorgesehen, dass dokumentiert wird, ob ein erkrankter Mensch Kinder oder einen Partner hat oder nicht. Dabei sind es gerade Kinder und Partner, die aus dem Fokus geraten.
Na.de: Wie verarbeitest du die Dinge, die du in deinem Arbeitsalltag erlebst? Wie bleibst du optimistisch, obwohl du dich so intensiv mit hoffnungslos erscheinenden Situationen auseinandersetzt?
Anna: Das ist eine gute Frage. Zum einen wissen meine KollegInnen und ich aus eigener Erfahrung, dass das Leben immer irgendwie weiter geht. Wir haben schließlich alle schon mal eine schlimme Situation durchlebt und wir wissen: Es findet sich immer irgendwo ein Weg. Genau das wollen wir auch unseren KlientInnen vermitteln. Natürlich achten wir bei der CARITAS auch sehr auf Supervision und richten regelmäßig Gruppengespräche und Trauerrituale für uns selbst ein. Das ist enorm wichtig.
Na.de: Und wie schaltest du ab, wenn du nach einem anstrengenden Arbeitstag nach Hause kommst?
Anna: Naja, ich bin Mutter – da schaltet man immer irgendwie um, sobald das Kind da ist. Ansonsten bin ich sehr gerne in Bewegung, zum Beispiel beim Yoga oder in der Natur. Allein durch achtsames Spazierengehen kann ganz viel im eigenen Inneren entstehen. Man setzt sich eben ganz wortwörtlich in Bewegung.
Na.de: Anna, das Gespräch mit dir hat auch uns bewegt. Vielen Dank für deine Zeit!